Schwarzwaldverein Stockach e. V.
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Erinnerungen.....

Konrad Bauer

Wie alles begann

Erinnerungen an die Anfänge des SV Stockach

Es ist nun gut 37 Jahre her, dass in Stockach eine Ortsgruppe des Schwarzwaldvereins gegründet wurde; genau gesagt: am 30. Juni 1972. Viele, die sich damals mit einem guten Stück Risikobereitschaft an das Unternehmen herangewagt hatten, sind nicht mehr unter uns. So verblasst die Erinnerung an die ersten Anfänge. Deshalb seien hier einige Anmerkungen an die Zeit gestattet, als die heute blühende Ortsgruppe sozusagen das Laufen lernte.

Dass es überhaupt zur Gründung kam, ist auf die strategische Überlegung des damaligen Präsidenten des Schwarzwaldvereins, des unvergessenen Fritz Hockenjos, zurückzuführen. Ihn trieb die Sorge um, dass der Schwäbische Albverein in die Lücke zwischen den SV-Ortsgruppen Engen und Überlingen hinein stoßen, und so das „Tor zum Bodensee“  besetzen könnte. Damit wäre der von den Schwaben stets angemeldete Anspruch auf das „Schwäbische Meer“ weiter untermauert worden. Das musste natürlich verhindert werden. Aus heutiger Sicht, wo SV und SAV einträchtig zusammenarbeiten, mag diese Sorge von Fritz Hockenjos eher amüsieren. Aber seinerzeit betrachteten sich beide Verbände noch als Konkurrenten.

Ich war damals frisch zum Leiter des Forstamts Stockach berufen worden und hatte eigentlich mit der Einarbeitung in die hiesigen forstlichen Verhältnisse genug zu tun. Aber dem dringenden Wunsch des SV-Präsidenten wollte ich mich nicht verschließen, zumal Förster und Schwarzwaldverein so manch gemeinsames Ziel verfolgten. Und so habe ich mit einer kleinen Freundesgruppe die Betriebe und Verwaltungen im Raum Stockach aufgesucht, die Ziele und Aufgaben des Schwarzwaldvereins erläutert, Infomaterial verteilt und so ganz nebenbei auch ein wenig nach etwas Startkapital Ausschau gehalten. Letzteres war ziemlich mühsam. Denn der Begriff des „Sponsorings“ war noch nicht geboren und das Geld lag nicht gerade auf der Straße.

Nach einigen Wochen der Vorbereitungszeit hatten wir den Eindruck, wir könnten es probieren.

Dann ging alles ganz schnell: Mit einer Annonce und einem ausgesprochen freundlichen, redaktionellen Beitrag im „Südkurier“ wurde zu einer Gründungsversammlung auf den Abend des besagten 30. Juni in die „Adler Post“ eingeladen. Mein immer noch etwas mulmiges Bauchgefühl wich Zuversicht, als ich den proppenvollen Saal betrat. Nach einleitender Erläuterung unseres Vorhabens ließ ich den damaligen Vorsitzenden der kurz zuvor gegründeten SV-Ortsgruppe Öhningen, Peter Greis, zu Wort kommen. Der schilderte in ebenso sympathischer wie anschaulicher Weise, wie sich bei ihnen am Schienerberg eine junge, ungemein aktive und von keinerlei Traditionsballast beschwerte Ortsgruppe gebildet hatte. Da bekam wohl jeder im Saal das Gefühl, „das sollten wir auch haben“. Beinahe hätte uns dann der als Geburtshelfer eingeladene Gauobmann mit einer quälend langen Grundsatzrede die Stimmung verdorben. So blieb mir nichts anderes übrig, als ihm mit dem Zwischenruf „Jetzt wird abgestimmt!“ das Wort abzuschneiden. Wenige Minuten später hatten wir einen einstimmigen Gründungsbeschluss und -was geradezu eine kleine Sensation war- die Beitrittserklärung von nicht weniger als 55 Teilnehmern.

Noch am gleichen Abend wurde ein Vorstand gewählt, der sich in den nächsten Tagen mit der Vorstellung eines ersten Jahresprogramms an die Arbeit machte.

Was war der Grund für diesen wirklich erstaunlichen Starterfolg? Es ist gewiss keine falsche Bescheidenheit, wenn ich auch heute aus der Rückschau feststelle, dass wir instinktiv genau den richtigen Zeitpunkt für unser Vorhaben erwischt hatten: Der Naturschutzgedanke, dem der SV seit Beginn in besonderer Weise verpflichtet ist, hatte durch das erste Europäische Naturschutzjahr 1970 und durch die Aufsehen erregenden Prognosen des Club of Rome (1972) in der Gesellschaft eine unerhörte Aufwertung, ja einen Bewusstseinswandel herbeigeführt. „Global denken, lokal handeln“ war die Forderung. Da konnte jeder der Umwelt verpflichtete Zeitgenosse in einer Ortsgruppe des SV seinen Beitrag leisten.

Hinzu kam ein weiteres: In den siebziger Jahren entstand dank rückläufiger Arbeitszeiten das, was man die Freizeitgesellschaft genannt hat. Eine Fülle neuer Freizeitaktivitäten entwickelte sich, wobei diese zum größten Teil als sog. Outdooraktivitäten Spaß und Erholung außerhalb der immer stressigeren Lebens- und Arbeitswelt in der freien Natur vermitteln sollten. Nicht immer rücksichtsvoll auf diese als schützenswert erkannte Natur und Landschaft! Unter allen Freiluftaktivitäten ist nun das Wandern unstrittig die sanfteste Form von Natur-Nutzung. Und dazu ermöglicht Wandern eine einzigartige Begegnung mit der Natur in allen ihren vielfältigen Erscheinungsformen ebenso wie mit den Zeugnissen der Geschichte und Heimat. Das unterscheidet kultiviertes Wandern, das der SV  bietet, von der stupiden Kilometerfresserei eines sog. Volksmarsches.

Schließlich hat auch die Pflege des Heimatgedankens nach der missbräuchlichen Benutzung im Dritten Reich heute wieder einen legitimen Stellenwert in der Gesellschaft. Auch diesem Anliegen einschließlich der Pflege des Dialekts als wesentlichem Element des Heimatgefühls ist der SV seit jeher eng verbunden.

Alle genannten Aspekte haben die Gründung der Ortsgruppe ungemein begünstigt, vielleicht sogar erst ermöglicht.

In den folgenden Wochen und Monaten kam es zu einem geradezu unglaublichen Mitgliederzuwachs, ohne dass der Vorstand noch groß die Werbetrommel schlagen musste. Es mag daran gelegen haben, dass unsere ersten Programm-Angebote, d. h. Wanderungen unterschiedlicher Dauer und Schwierigkeit, geselliger Veranstaltungen und anspruchsvoller Vorträge offensichtlich den Erwartungen unserer Mitglieder entsprachen. Und ein Entscheidendes kam hinzu: Wie bei der Ortsgruppe Öhningen waren wir in Stockach von Anfang an nicht durch langjährige Traditionen belastet, sondern konnten uns ganz nach unseren eigenen Vorstellungen entwickeln. Und das geschah -und geschieht bis auf den heutigen Tag- in einer für unsere Ortsgruppe geradezu typischen Weise: nicht vom Vorstand oben, sondern aus der Mitte der Mitgliederschaft kam (und kommt) eine Vielzahl neuer und zusätzlicher Aktivitäten, andere verschwanden. Das ist Ausdruck einer unglaublich lebendigen Gemeinschaft.

Ein weiteres kam hinzu: Der Gründungsvorstand hatte peinlich darauf geachtet, die Ortsgruppe aus jeglicher politischer Verbindung herauszuhalten. Stattdessen sollte der Verein für alle Schichten der Gesellschaft offen sein. Das ist auch in erstaunlichem Maße gelungen. Der Schichtarbeiter in der Fahr`schen Gießerei war ebenso selbstverständlich Wanderfreund wie der Arzt oder Beamte. Das gilt auch für Neubürger, die über den Schwarzwaldverein neue Freunde und damit auch eine neue Heimat gefunden haben. Diese gesellschaftliche Integrationsleistung der Ortsgruppe wird man nicht gering veranschlagen dürfen.

Aus der „Frühgeschichte“ des SV Stockach möchte ich nur zwei Ereignisse in Erinnerung rufen:

Die folgende Geschichte ist es wert, der Vergessenheit entrissen zu werden, weil sie das unwahrscheinliche Engagement belegt, das von Wanderfreunden unserer Ortsgruppe geleistet wurde: Es ging um den Ausbau der Diesslinhütte am Belchen, die später ja leider aufgegeben werden musste.

Die Baurechtsbehörde hatte den Bau einer Einzelkläranlage zur Auflage gemacht, die zu jeder Hotelanlage gepasst hätte. Ein riesiges Loch war mit einem Bagger schon ausgehoben, als unsere Mannschaft mit einem angemieteten Kranwagen anrückte, um die tonnenschweren Schleuderbetonelemente in die Grube zu versenken und fachgerecht zusammen zu bauen. Es war ein brütend heißer Samstagnachmittag im Sommer 1975. Eine endlose Schlange von Touristenautos war auf dem schmalen Sträßchen zwischen Wiesetal und Belchen unterwegs. D. h. nur solange, bis unser Kranwagen seine Abladeposition erreicht hatte. Dann ging nichts mehr, weil wir mit dem LKW den gesamten Verkehr zusammenbrechen ließen. Unsere Vorstellung, mit dem Kran könnten wir in kurzer Zeit die Betonringe in der Grube versenken, wurde freilich herb enttäuscht. Der Kranausleger war um einiges zu kurz. So musste in strapaziöser und dazu unheimlich gefährlicher Weise Ring für Ring von Hand in die Grube geschwungen und dann zielgenau abgesetzt werden. Das dauerte. Eine Ewigkeit! Derweil wurde das harte Geschäft unserer Mannen von einem nervtötendem, empörten Dauer-Hupkonzert hunderter PKWs begleitet. Endlich war es geschafft und unsere Mannschaft auch. Der nach Auflösung des Staus herbeigeeilte Vorsitzende konnte mit einem größeren Kasten Bier nur Trost und Dank spenden. Noch heute graut ihm bei dem Gedanken, Polizei und Straßenverkehrsbehörde wären uns auf die Schliche gekommen und hätten uns wegen fehlender Genehmigungen zur Kasse gebeten. Es wäre teuer geworden.

Zur 625-Jahrfeier des Stockacher Narrengerichts im Februar 1976 waren Tausende auswärtiger Besucher angesagt. Zu ihrer Verpflegung reichte die ja nicht gerade unterentwickelte Gastronomie Stockachs bei weitem nicht aus. So waren alle Vereine dazu aufgerufen, ihre Vereinsheime den Gästen zu öffnen. Ein solches besaßen wir damals noch nicht. Aber im Forstamtsgebäude in der Salmannsweilerstraße wurde mit tatkräftiger Mithilfe vieler Wanderfreunde eine urgemütliche „Kaschemme zur Wilden Sau“ eingerichtet, die Wildkammer zur Küche umgerüstet, eine formidable Bar aufgebaut und ein Einsatzplan für mehrere 6-Mann(Frau)-Schichten à 3 Stunden erstellt, denn in dieser Nacht gab es keine Sperrstunde.

Zwei entscheidende Positionen in unserer Mannschaft mussten freilich über alle Schichten hinweg mit den gleichen Personen besetzt werden; sie waren durch niemand anderem zu ersetzen: Der Türsteher, ein Wdfrd. mit der Figur eines Freistilringers, der mit sicherem Instinkt und Kenntnis der Szene jeden gewaltverdächtigen Typ außen vor, friedfertige Bürger, selbst Landrat und Bürgermeister aber hereinließ.

Die andere, ebenso wichtige Position war unsere Barfrau im hinreißenden  Dirndl, das entscheidend zur restlosen Vernichtung des bereitgestellten, stattlichen Sektvorrates beitrug. Sie sank am frühen Morgen glücklich über das Geleistete, aber völlig erschöpft vom Hocker. Dieser selbstlose Einsatz der beiden ist auch nach über 30 Jahren noch erwähnenswert. Wir hatten übrigens einen hohen vierstelligen Reingewinn aus dieser Wirtschaftstätigkeit erzielt; er floss in unser Diesslinhütten-Projekt.

 

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